Sabine Folie, Foto © Elodie Grethen
Liebe Freundinnen und Freunde der Kunstsammlungen der Akademie!
Nach der Einführung unserer neuen Ausstellungsreihe Die Sammlung betrachten & An Insert by …, die mit dem Beitrag von Willem de Rooij zur holländischen Tierstilllebenmalerei und einer Sammlungspräsentation der Gemäldegalerie erfolgreich begonnen hat, wollen wir nun wieder eine transhistorische Ausstellung vorstellen, die Werke aller drei Kollektionen der Kunstsammlungen der Akademie beinhalten wird sowie hochkarätige Werke aus internationalen Häusern in Wechselwirkung mit zahlreichen Positionen zeitgenössischer Kunst.
Das Thema der Ausstellung History Tales. Fakt und Fiktion im Historienbild ist in diesem historischen Moment einer viel zitierten „Zeitenwende“ von unerwarteter Brisanz, geradezu von erschreckender Aktualität, scheint doch ein weltpolitisches und ökonomisches Gleichgewicht von Werten und Kräften – auch durch den Krieg in der Ukraine ausgelöst – aus dem Takt zu geraten und eine globale Verschiebung unabsehbaren Ausmaßes in Gang zu setzen.
History Tales erzählt vom Werdegang einer Bildgattung, dem Historienbild, von Geschichten über Geschichte, in denen die Historie als Identifikationsangebot oder ethische Richtschnur auftritt. Objektive Geschichtsschreibung ist dabei oft zweitrangig, im Vordergrund steht die Deutung der Vergangenheit als Interpretationshorizont für die Gegenwart und als Denkbild in Bezug auf eine mögliche Zukunft. Die Ausstellung erzählt von Fakten und Fiktionen im Historienbild, von Anekdoten, Erfindungen, Verklärungen und von Kritik, Abweichungen und Gegenerzählungen zur Geschichte der offiziellen Repräsentation. Das große Historienbild bleibt dabei die Ausnahme, es dient als Matrix zur Demonstration, was das Historienbild vor allem des 19. Jahrhunderts wollte: durch schiere Größe immersiv beeindrucken, die emotionale Beteiligung der Betrachter:innen anstoßen und für die Idee von Ursprungsmythen begeistern. Es war eine Zeit, in der Gewissheiten zu bröckeln begannen, ein Geschichtsmodell der Zukunft nicht in Sicht war und Vergangenheiten als eklektische, proto-postmoderne Denkanstöße reflektiert wurden – mit all ihren reaktionären Risiken und visionären Versuchsanordnungen. Modelli, Ölskizzen, Illustrationen, Pressegrafik mit ihrer subversiven Kraft, der Frische einer ursprünglichen Idee, dem Überraschungseffekt einer provokanten Anekdote, der Karikatur und vielem mehr, stehen neben den großen Historienbildern im Fokus.
History Tales beschäftigt sich ebenso mit der Geschichte von Identitäten und Nationen. Welche Paradoxien von Abschottung und Friedenssicherung ergeben sich im Zuge von Prozessen des nation-building? Wie stellen sich Aufstieg und Fall von sogenannten Zivilisationen dar? Wie wird die Hybris des Menschen allegorisiert? Welche Veränderungen durchlaufen die Darstellungen von Mythen, Held:innen, Herrscher:innen und historischen Ereignissen im Laufe der Jahrhunderte? Welche Veränderungen vollziehen sich mit der Erfindung von Fotografie und Film im 19. Jahrhundert – einem Jahrhundert, in dem Staatsformen unter anderem durch Technologie und industrielle Entwicklung einer ungeheuren Transformation unterzogen wurden? Und wie verhalten sich die Avantgarden der Postmoderne zu dieser Auffassung endlosen Fortschritts und territorialer, nationalistischer Bestrebungen? Welche Formen der Reflexion und des Protests bieten sich an? Diese und noch viel mehr Fragen stehen im Raum, denen die Ausstellung in 13 Szenerien nachspürt.
Auch bei dieser Ausstellung bieten wir eine Palette von Informationen über unterschiedliche Formate der Kunstvermittlung, einen wissenschaftlichen Katalog mit Beiträgen von Maha El Hissy, Eva Kernbauer, Claudia Koch, Alexander Roob, René Schober, Bernhard Stiegler, Gudrun Swoboda, u. a. und einer Serie von Vorträgen in unserer Reihe der Lektionen / Lessons.
Wir sehen Ausstellungsmachen als eine Möglichkeit des Erfahrens und Erlebens und freuen uns über Ihre Unterstützung unserer Projekte, die neue Denkanstöße liefern wollen und eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart über den Reflexionshintergrund der Vergangenheit in Aussicht stellen.
Lassen Sie sich überraschen.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch in der Gemäldegalerie.
Mit herzlichen Grüßen,
Ihre Sabine Folie
Direktorin der Kunstsammlungen der Akademie der bildenden Künste Wien
und das Team der Kunstsammlungen